Leider nicht der ganz große Wurf!
Pink Floyd-Fans tendieren dazu, exzessive Sammler zu sein, und so muss
man schon etwas ganz Besonderes bieten, wenn man ihnen eine
Raritäten-Box verkaufen will, die nicht gerade im Niedrigpreis-Sektor
angesiedelt ist. Unzählige Bootleg-LPs/-CDs und auch TV-Mitschnitte
kursieren bereits seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, und wenn dann
die entsprechenden Aufnahmen "legal" veröffentlicht werden, erwartet
der Hardcore-Fan, dass sie dann wenigstens in der bestmöglichen
klanglichen Version erscheinen.
Um es gleich vorweg zu sagen: Nicht nur in dieser Hinsicht ist diese umfangreiche Box stellenweise eine Enttäuschung.
Aber der Reihe nach.
– Zunächst einmal die Aufmachung:
Etwas
eigenwillig, dieser übergroße schwarze Schuhkarton, aber okay, wenn man
weiß, dass dieser vom Layout her an den ersten Bandbus angelehnt ist,
dann kann man das schon okay finden. Cover- und generelles Artwork von
PF waren schon immer sehr speziell in zumeist von herausragender
Qualität (Storm Thorgenson/HIPGNOSIS). Insofern: Gut, da hat sich jemand
wenigstens Gedanken gemacht. Auch die zahlreichen Inlays,
Posternachdrucke und Vinyl-Singles-Reprints gehen in Ordung. Was aber
ein echtes Ärgernis ist, ist, dass die Filme gleich in ZWEI Versionen
erscheinen, als DVDs und überflüssigerweise auch als Blue-Ray-Disks. Wer
braucht so was? Wer braucht schon zwei Formate des selben Inhalts. Ein
entweder/oder wäre hier angesagt gewesen, denn der Käufer zahlt hier für
ein und dasselbe Produkt quasi zweimal. Mehr als ärgerlich! Reine
Geldmacherei kännte man hier unterstellen.
– Die ausgewählten Filmdokumente
Größtenteils
erfreulich, vor allem die frühen Aufnahmen in guter Qualität;
herausragend v. a. das KQED-Material aus San Francisco von 1970, sehr
gut remastered. Ärgerlich aber, dass beim Pompeii-Film auf den
aufgemotzten, eher geschmacklosen Dirctor's Cut zurückgegriffen wird.
Bei einer Retrospektive wäre die originale, mittlerweile seltene
Ursprungsversion, die optisch wesentlich ansprechender und authentischer
ist, eher angebracht gewesen. Schade.
Unverzeilich ist, dass weder
der Film "MORE" noch "LA VALLEE" mit Untertitel erscheinen. Beide Filme
sind sehr wohl untertitelt erhältlich, und bei "The Committee" hat man
das ja auch hinbekommen. Hallo, Qualitätskontrolle???
Bei der Auswahl
hätte man selbstverständlich auch gerne den Anthony-Stern-Film "San
Francisco" von 1966 mit einer einmaligen Interstellar-Overdrive-Version
dabei gehabt, aber Fehlanzeige! (Rechtliche Gründe?) Weshalb Antonionis
ZABRISKIE POINT-Film fehlt, dagegen aber die beiden schon genannten
Schroeder-Filme dabei sind, auch das bleibt rätselhaft.
Erfreulich
dagegen: Erstmals offiziell zu sehen ist der legendäre Jam mit Frank
Zappa bei Interstellar Overdrive vom Amougies Festival 1969. Auch wenn
er nicht komplett gefilmt ist und er eher dokumentarischen als
musikalischen Wert hat, doch das ist sicher Geschmackssache. (Man hat
den Eindruck, dass Zappa sich doch ziemlich zurückhält.)
Zu den CDs
CD
1: Es ist schön, das gesamte 1965-Material in gutem Sound zu hören; die
legendären Songs In The Beechwoods, Vegetable Man und auch Scream Thy
Last Scream sind quasi Pflicht und auch in gutem Sound wiedergegeben,
doch warum noch einmal die altbekannten Singles Arnold Layne, Emily,
Paintbox etc, die sowieso schon jeder hat? Und wenn, dann doch bitte in
einem Stereo-Mix (wie man sie bereits von Paintbox, Apples and Oranges
kennt!. Leider wieder Fehlanzeige.
CD 2: Live in Stockholm; ist okay, allerdings kaum ein Mehrwert zur bekannten Bootleg-Version.
Eine
Überraschung ist die John-Latham-Session. Selbst ich hatte davon noch
nie gehört, und ich würde mich durchaus als eine Art "PF-Spezialisten"
bezeichnen. Musikalisch ist das Ganze ein eher loser Jam, aber okay. Es
gibt nicht viel Material mit Syd Barrett, also immer her damit! Die
Einteilung in Einzeltracks erscheint allerdings relativ willkürlich, da
hätte man auch besser darauf verzichtet und lieber ein, zwei längere
Tracks daraus gemacht. Ärgerlich ist, dass man keinerlei Informationen
zu der Session erhält, wie überhaupt, was leider ebenfalls zu bemängeln
ist, generell die Beihefte vom Informationsgehalt als sehr dürftig und
optisch wenig ansprechend zu bezeichnen sind. Da habe ich mehr an Infos
erwartet. Viel mehr!
CD 3 Auch hier wider ein Mischmasch aus
überflüssigen Singles (leider wieder in Mono und nicht in Stereo, z. B.
Careful, das 1971 auf der Relics-LP sehr wohl als Stereo-Mix erhältlich
war) und durchaus interessanten BBC-Tracks der Zeit. Allesamt zwar nicht
Neues, aber in sehr guter Sound-Qualität.
CD 4 BBC-Sessions von 1969
sowie Mischpult-Mitschnitt aus Amsterdam ohne Vocals, allesamt unter
Sammlern bekannt, aber hier wiederum in exzellenter Qualität. Geht in
Ordnung. Ein Riesen-Ärgernis jedoch Track 4, der hier fälschlicherweise
als "Seabirds" (aus dem Original-Soundtrack von More) angekündigt wird,
tatsächlich handelt es sich aber nur um einen alternativen (Mono- , was
sonst? ärgerlich!) Take von "Quicksilver". HALLO? Wie kann so etwas
passieren? Ich bin einer von den vermutlich Hunderten (Tausenden?)
Käufern, die diese Box vor allem wegen dieses Songs gekauft haben (der
zwar im Film zu hören ist, aber nie offiziell erschienen ist), und die
sich danach dann extrem darüber ärgern, NICHT DAS ZU BEKOMMEN, WAS
DRAUFSTEHT!
Zusammenfassend zu den ersten 4 CDs ist zu sagen,
dass es sehr enttäuschen ist, dass nicht viel mehr echte Outtakes aus
den Studio-LP-Sessions zu hören sind. So etwas hätte das Sammler-Herz
wirklich höher schlagen lassen. Löbliche Ausnahmen sind etwa "Hollywood"
oder die Beat-Version vom More-Theme. Hiervon hätte man gerne mehr
gehört (allerdings noch lieber in einem Stereo-Mix! Ich weiß, ich
wiederhole mich!).
Die Outtakes "Roger's Boogie" und "Song 1" etwa,
die auf der 68er CD enthalten sind, zeigen ganz neue Facetten von Pink
Floyd, wie man sie ansonsten kaum gehört hat. In Los Angeles
aufgenommen, wenn man der Info glauben darf, lassen sie einen deutlichen
US-Westcoast bzw. Eastcoast-Einfluss erkennen. Hier klingt die Band
stellenweise fast wie Vanilla Fudge (bei den Gesangsarrangements und den
Akkordwechseln) oder aber wie die kalifornische Studioband Touch auf
ihrem einzigen progressisven Album, ebenfalls 1968 aufgenommen.
CD
5 widmet sich verdientermaßen gänzlich der vom holländischen Radio 1969
übertragenen hervorragenden Performance von The Man & The Journey.
(Ein echter Highlight, auch wenn auch diese Aufnahmen schon lange in
Sammlerkreisen zirkulieren.)
Vermisst wird allerding, wenn wir uns im
Jahr 1969 aufhalten, die hervorragende Interstellar-Overdrive-Version,
die für Ummagumma mitgeschnitten wurde, aus Zeitgründen aber weggelassen
wurde. Warum ist sie nicht hier endlich zu finden? (Auf Bootleg gibt es
sie schon lange, in herrausragender Qualität.)
CD 6 enthält wieder
nichts Neues, die BBC-Session vom Julli 1970 und eine Live-Version von
Atom Heart Mother aus Montreux. Auch hier stellt sich die Frage, warum
wurde nicht das gesamte Montreux-Konzert veröffentlicht? Die
Sound-Qualität hätte das durchaus hergegeben. Und das wäre sicherlich
interessanter gewesen als der hunderste Aufguss der weit verbreiteten
BBC-Sessions aus diesem Jahr. (Nichts gegen diese, aber wie gesagt, man
kennt das Material bereits zu genüge.)
CD 7: ein weiterer Highlight
der Box: weitere Outtakes aus der Zabriskie-Point-Aufnahmesession aus
Rom, die allerdings bereits Ende 1969 stattgefunden haben und insofern
in dem 1970er Package eigentlich falsch einsortiert sind. Leider hat man
den Eindruck, dass die Stücke teils viel zu früh ausgeblendet werden.
Der echte PF-Fan würde sich sicher freuen, wenn sich die Band (ähnlich
wie das etwa Grateful Dead handhaben) dazu entschließen könnte, das
gesamte Zabriskie-Point-Material endlich zusammengefasst als CD-Box
herauszubringen. Da würden sicherlich 3 bis 4 Scheiben zusammenkommen.
Ein Traum, der vielleicht einmal Wirklichkeit wird? Momentan muss man
sich das Material aus den unterschiedlichsten Quellen selbst
zusammenstellen.
Toll ist es, auch die ursprüngliche Studio-Version
von AHM ohne Orchestrierung und Chor zu hören. Hier kann jeder nun
endlich selbst nachvollziehen, warum die Band das Stück so doch ein
wenig dröge fand. Ein wichtiges Zeitdokument!
CD 8 enthält einen Teil
der "Nothing"-Session, des Songs, der später zum legendären "Echoes"
wurde – sicherlich das ausgereifteste, beste Stück aus der Frühphase der
Band. Historisch wiederum sehr interessant, musikalisch nicht ganz so.
Auch hier hätte man nichtsdestotrotz gerne weitere
Songschnipsel/Outtakes gehört. Stattdessen bekommt man die
71er-BBC-Session zu hören, und, man halte sich fest, wiederum vollkommen
überflüssigerweise in MONO! Ein echtes Ärgernis, da dieses Konzert auf
unzähligen Bootlegs im weitaus interessanteren, zeitgemäßeren Stereo-Mix
im Umlauf ist. Was bitte soll das??? Wiederum: Qualitätskontrolle
gepennt! Noch dazu wurde das dazugehörige Blues-Stück vom selben
Aufnahmetermin auf die BONUS-CD verbannt, und dort wird auch noch das
falsche Datum genannt. Lustigerweise ist es da aber in Stereo (!) zu
hören. Ich schmeiß mich weg! Da hat wieder jemand gepennt.
CD 9: Hier
findet sich die überflüssigste CD der gesamten Box: eine remasterte (! –
remastered, nicht re-mixed! wie es da steht) Version von der LP
Obscured by Clouds. Es ist ja nicht gerade so, dass der Backkatalog von
Pink Floyd arm wäre an remasterten Versionen ihrer regulären Platten.
Diese 2016-Version bieten nun so gar keinen wirklichen Mehrwert. Und ob
der Sound des Remasterings so viel besser ist, das sei dahingestellt.
Viele haben sich dazu schon geäußert und die meisten finden den Sound
eher katastrophal, da viel zu höhenlastig. Das mag Geschmackssache sein.
Ich finde ihn ganz okay, wenn auch nicht herausragend.
Etwas ganz
anderes wäre es gewesen, wenn die Platte tatsächlich remixed worden
wäre, quasi in einer alternativen Version zu hören gewesen wäre, hier
eine neue weitere Gitarrenspur, dort ein anderes
Rick-Wright-Keyboardsolo ... so in der Art. Das wäre ein Traum gewesen.
So aber ist diese CD mit das größte Ärgernis der Box (abgesehen von dem
"Seabirds"-Faux pas, s. o.).
Wesentlich mehr Sinn hätte es im Übrigen
gemacht, hier stattdessen die CD-Version von Live in Pompeii zu
platzieren. Diese wurde bei meiner Box-Version jedoch zusätzlich als
eine Bonus-CD (CD 10) im Pappschuber mitgeliefert. Ein weiterer Patzer
bei der Herstellung!
CD 11: Hier findet sich ein Sammelsurium von
Tracks, die offenbar als nicht gut genug befunden wurden, um auf den
"regulären" Box-CDs zu erscheinen. Na ja. was soll man sagen, ich hatte
erhofft, die 1967 BBC-Version endlich in einer guten Soundqualität zu
hören – und wurde bitter enttäuscht. Mit Ausnahme von "Flaming" ist die
Klangqualität eher mies – nach wie vor. Es gibt sogar Bootleg-Versionen,
die besser klingen, als diese hier. Wirklich schade.
Leider gilt das
auch dür die zwei Tracks von The Committee (die Eröffnungs- und die
Schlusssequenz des Filmes; die Jam-Fragmente a la Careful hat man gar
nicht erst veröffentlicht; offenbar konnte man die Masterbänder nicht
finden) und die zur Mondlandung 1969 live im TV improvisierte Musik
unter dem Titel "Moonhead". Hier gibt es, wie erhofft, leider keinerlei
Klangverbesserung zu früheren Bootleg-Versionen. Allerdings ist das
Letztere in einer etwas längeren Version zu hören als bisher. Immerhin.
Die
74er Wembley-Echoes-Live-Version, die den Abschluss der CD bildet, ist
hingegen, wie zu erwarten war, in herausragend guter Tonqualität
aufgenommen. Es handelt sich um einen bislang unveröffentlichtern
BBC-Mitschnitt (abgesehen von Bootleg-Versionen).
Allein, was der
Song hier in dieser Box zu suchen hat, bleibt das Geheimnis des
Herstellers, denn mit dem Ursprungsjahr 1974 sprengt er deutlich den
vorgegebenen zeitlichen Rahmen von 1965-1972. Diese Echoes-Version wäre
besser bei der erweiterten Dark Side of the Moon-Box aufgehoben gewesen
(bei der auch die dazugehörige Live Version von Dark Side vom selben
Konzert 1974 zu hören ist).
FAZIT:
Alles in allem ist diese
extrem teure Box für den hardcore Pink-Floyd-Sammler eher eine
Enttäuschung. Was schade ist. Mit ein bisschen mehr Mühe, Aufwand und
Sorgfalt hätte da etwas wirklich Großartiges entstehen können. Diese
Chance wurde leider verpasst. Die The Early Years-Box ist leider nicht
der große Wurf geworden, die sie hätte sein können. Trotzdem enthält sie
einige wirkliche Highlights.
Deshalb nur 3 von 5 Sternen.